Das Nikolaiviertel ist ein besonderer Ort. Für uns, die wir hier wohnen oder arbeiten sowieso, aber auch für die Berlin-Besucher, die sich nur wenige Schritte vom Alexanderplatz fühlen, wie in alte Zeiten versetzt. Eine außerordentliche Stellung hat das Viertel auch deshalb, weil es nach den großflächigen Kriegszerstörungen zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 wiederaufgebaut wurde. Auf dem angepassten Stadtgrundriss der Vorkriegszeit entstand um die wiederaufgebaute Nikolaikirche eine „Traditionsinsel“ aus Nachbauten historisch prominenter Bauwerke wie zum Beispiel dem Ephraim-Palais, der Gaststätte Zum Nußbaum, dem Lessinghaus oder der Gerichtslaube, die dort oder an anderen Standorten in Berlin-Mitte einmal gestanden hatten. Dass Nachbauten in trauter Eintracht neben alten Originalgebäuden stehen, scheidet die Geister. Aber gerade die Mischung macht das Viertel so eigenständig und für die historisch Interessierten zu einem Zeugnis der Geschichte. Grund genug für das Landesdenkmalamt, das Nikolaiviertel mit einem ganz besonderen Prädikat zu versehen. Seit Januar 2018 steht es auf der Berliner Landesdenkmalliste.

Der für das Landesdenkmalamt zuständige Kultursenator, Klaus Lederer (Linke), sagte dazu: „Das Nikolaiviertel hat hohen städtebaulichen, architektonischen und künstlerischen Wert als Zeugnis eines Umdenkens in der Stadt- und Architekturentwicklung in den letzten Jahren der DDR. Es ist vergleichbar mit den Anlagen der IBA in West-Berlin, von der wichtige Bauten in Kreuzberg seit 2015 unter Schutz stehen. In Berlin kann man vor Ort studieren, wie sich vor dem Mauerfall in beiden Systemen ähnliche Konzepte durchsetzten, den politischen Unterschieden zum Trotz“.

Weit weniger wissenschaftlich sehen es die meisten Besucher, die einfach nur den besonderen Ort geniessen oder Maler und Fotografen, die sich vom Genius Loci inspirieren lassen. Auch Filmproduktionen, die die Gassen des Nikolaiviertels gern als Kulisse nutzten, wie vor einigen Jahren George Clooney, der hier mit einem riesigen Aufgebot Szenen für „The Monuments Men“ drehte.

Nun steht also wieder ein Stück Berlin unter Denkmalschutz. Leider durfte Günter Stahn das nicht mehr erleben. Der Architekt, unter dessen Federführung das Viertel zwischen 1983 und 1987 wieder aufgebaut wurde, ist am 1. Dezember 2017 gestorben. Mit seinem Team vom VEB Hochtiefbau Berlin hat er im etwas tristen Osten Berlins ein kleines Wunder erschaffen. Behutsam hatte das Projekt von Günter Stahn sich dabei der alten, durch Krieg und Nachkriegszeiten verloren gegangenen Strukturen angenommen und inmitten des spröden Zentrums der Stadt wieder ein lebendiges Herz eingepflanzt. Aus dem eigenwilligen Plan, der damals etwas vollkommen Neues war und für viel Furore sorgte, ist ein nicht mehr wegzudenkendes Viertel geworden, dass von mehr als 2000 Menschen bewohnt und von zahlreichen Kleingewerbetreibenden und über 30 Gastronomiebetrieben als Zuhause angesehen wird.

Einen im Tagesspiegel erschienenen Nachruf auf Günter Stahn finden Sie hier.