Geschichte des Nikolaiviertels

Berlin und Cölln – Der Gründungsort

Historische Karte von BerlinDie erste schriftliche Erwähnung Berlins geht auf das Jahr 1237 zurück. Als Kaufmanns- und Gewerbesiedlungen entstanden, wurden Berlin und Cölln im selben Jahrhundert, nämlich 1251 bzw. 1261 als Städte benannt und unterstanden der Landesherrschaft der Markgrafen von Brandenburg. (1) Am 20. März 1307 wurden die beiden Orte zur Doppelstadt Berlin-Cölln vereinigt. Eine Gründungsurkunde ist nicht erhalten oder wurde bisher nicht gefunden. Vermutlich ist sie beim verheerenden Stadtbrand 1380 verloren gegangen. Ausgrabungen haben gleichwohl gezeigt, dass schon vor ersten schriftlichen Nachweisen über die Existenz der Stadt am Spreeübergang der Handelsstraßen Menschen gelebt haben (gegen Ende 12. Jahrhunderts). Der Bau eines Damms zur Querung des Flusses, durch den Mittels Mühlen die Wasserkraft des Flusses genutzt wurde, ließ die erste namentlich benannte Straße entstehen, den Mühlendamm. Die Größe dieser Siedlung wird auf ca. 200 Einwohner*innen geschätzt. (2),(3) Neben den Ausgrabungsfunden gibt es weitere Hinweise darauf, dass die Stadt bei ihrer Gründung bereits als Gesamtanlage geplant und entsprechend schrittweise angelegt wurde. So wurde im 13. Jahrhundert in der geometrischen Mitte der Anlage ein neues Rathaus mit Gerichtslaube errichtet. Auch der Molkenmarkt existierte zu dieser Zeit bereits innerhalb der Anlage. (4)

Mitte des 13. Jahrhunderts entstand am Standort der heutigen Nikolaikirche bereits die erste romanische Basilika der Stadt. Das noch heute erhaltene Feldsteinmauerwerk im Turmunterbau ist der älteste erhaltene Gebäudeteil Berlins. Schon um 1264 erlaubten „wachsende Wirtschaftskraft und relativer Wohlstand“ der Bürgerschaft, ihr zentrales Bauwerk wesentlich umzubauen. Die Nikolaikirche wurde zu einer gotischen Hallenkirche, deren wesentlichstes Merkmal bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die asymmetrische mittelalterliche Fassade mit einem schlanken Turm, war. Erst in den 1870er Jahren wurde durch den Berliner Architekten Hermann Blankenstein der neogotische Doppelturm errichtet. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurden die Hohenzollern neue Landesherren und wählten die beiden Städte Berlin und Cölln, die sich 1307 bereits zu einer förmlichen Union zusammengeschlossen hatten und über gemeinsame Befestigungsanlagen verfügten, zu ihrer Residenz. Unter Kurfürst Friedrich II. wurde daraufhin mit dem Bau des kurfürstlichen Schlosses „Zwing Cölln“ begonnen, das ab 1486 zur ständigen Residenz der brandenburgischen Kurfürsten wurde und für die Umwandlung der mittelalterlichen Handelsstadt in eine Residenzstadt steht. (5)

Der Dreißigjährige Krieg hatte verheerende Folgen für Berlin und Cölln. Die bis dahin entstandenen Vorstädte wurden zerstört und die Bevölkerungszahl stark dezimiert. Während dieser Zeit übernahm 1640 der Kurfürst Friedrich Wilhelm die Regierung und war dennoch ambitioniert, Berlin zu einer Stadt zu entwickeln, die anderen Residenzstädten im internationalen Vergleich ebenbürtig sein sollte. Kurz darauf wurde Berlin zur Garnisonsstadt erklärt und gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde im Sinne des nun einflussreichen Militärs ein sternförmiger Befestigungsgürtel umgeben von einem Wassergraben um Berlin und Cölln angelegt. (6) Zur gleichen Zeit machte der Bau des Friedrich-Wilhelm-Kanals zur Verbindung von Oder und Spree die Stadt zu einem Knotenpunkt der damals längsten durchgehenden Wasserstraße Deutschlands und stärkte die Bedeutung als Hafenstadt. Der wirtschaftliche Aufschwung sorgte für erhebliche Zuwanderung und zwei neue Stadtteile. Friedrichswerder und Dorotheenstadt wurden innerhalb der erweiterten Befestigungsanlagen errichtet. (7)

Trotz gemeinsamer Befestigungsanlagen und geografischer Einheit bestand Berlin zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach wie vor aus den fünf selbstständigen Gemeinwesen Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt. Erst die Erhebung in den Rang einer königlichen Residenz nach der Krönung Friedrich I. führte dazu, dass der neu gekrönte König im Jahre 1709 die Vereinigung der fünf zur „Königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin“ verfügte und diese ihre eigene Verwaltung erhielt. (8),(9) Danach entwickelte sich Berlin, im 18. und 19. Jahrhundert, zu einer europäischen Wirtschafts- und Kulturmetropole. (10)

Auch wenn die Struktur des Nikolaiviertels bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen erhalten blieb, so veränderten sich doch zahlreiche Gebäude im Laufe der Zeit. Die im Jahr 2019 durchgeführten archäologischen Grabungen des Landesdenkmalamtes am Mühlendamm haben größtenteils gründerzeitliche Funde hervorgebracht. Zahlreiche Gebäude des Nikolaiviertels wurden im Laufe der Jahrhunderte, wie auch in den anderen historischen Vierteln Alt-Berlins und Alt-Cöllns, immer wieder durch modernere Bauten ersetzt.

Die Königstraße (heutige Rathausstraße), als Verbindung zwischen Schloss und Alexanderplatz, war die Hauptstraße in Alt-Berlin. Auch die Spandauer Straße, als Verbindung zwischen Molkenmarkt und Spandauer Tor, war eine repräsentative und vornehme Straße in der Berliner Altstadt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es, in Zusammenhang mit der Industrialisierung, dem rasanten Stadtwachstum und der Entwicklung des Autoverkehrs, immer wieder Überlegungen die Straßen der Berliner Altstadt zu erweitern. In den 1930er Jahren kam es daher zu zahlreichen Abrissen. Unter anderem wurde aufgrund nationalsozialistischer ideologischer Motive der Mühlendamm auf 37 m verbreitert und das Ephraim-Palais sowie die Bebauung auf der Mühlendammbrücke (1893, Herrmann Blankenstein, Sitz der Sparkasse) abgerissen.

Im Zweiten Weltkrieg, zwischen 1943 und 1945, wurde das Nikolaiviertel bis auf fünf Grundstücke zerstört. Bis in die 1980er Jahre blieb die Situation im Nikolaiviertel unverändert. Die kriegszerstörten Gebäude waren abgetragen worden. Die Nikolaikirche stand als Ruine in dem leer geräumten Quartier.

Wiederaufbau und Wettbewerb 1978

Die Planung einer Bebauung auf dem Areal der historischen Gründungsstätten der Stadt Berlin, nach den fast vollständigen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, begann etwa um das Jahr 1960. Bereits zur Gründung der DDR wurden Pläne zur Entwicklung eines neuen Stadtzentrums entworfen. Die städtebauliche Geschichte und der Gründungsort als bau- und kulturhistorischer Ankerpunkt wurden dabei zunächst vernachlässigt. Priorität lag auf dem Bau eines repräsentativen Regierungssitzes. Später sollte eine Planung zur Einbindung der Spree in dieses neue Zentrum mit einer Bebauung entlang des Ufers erarbeitet werden. Im Zuge dieser Planungen waren zumindest der Erhalt und die Einbindung von Nikolaikirche und Knoblauchhaus vorgesehen. In den Jahren 1957/58 wurde ein Wettbewerb zur Neugestaltung des Zentrums um das Marx-Engels-Forum ausgelobt, von dessen Beiträgen jedoch keiner realisiert wurde. Erst mit einem Wettbewerb zur Entwicklung des Alexanderplatzes im Jahr 1964 begannen Planungen und schließlich Umbaumaßnahmen im historischen Berliner Zentrum. Daraufhin folgte ab 1973 die Realisierung des Palasts der Republik am Standort des ehemaligen Stadtschlosses. (11)

Erst nach Abschluss dieser großflächigen Umstrukturierungsmaßnahmen rückten die übrigen Bereiche der historischen Innenstadt wieder in den Fokus der Planungen. Insbesondere sollte Wohnen im Stadtzentrum realisiert werden, in den besonders frequentierten Bereichen in Kombination mit Handel, Gastronomie und Dienstleistungen. Das Nikolaiviertel wurde zu diesem Zeitpunkt innerhalb des Standorts Rathausstraße geführt. (12) In den 1970er Jahren erfolgte schließlich eine Neuorientierung im Umgang mit diesen innerstädtischen Arealen, die auf eine Wiederbelebung historischer Räume unter Einbeziehung der gestalterischen Möglichkeiten des industriellen Wohnungsbaus zielte. (13) Die Gründungsstätte Berlins rund um die Nikolaikirche rückte wieder in den Fokus. Der Bereich sollte neugestaltet werden unter Rückbesinnung auf die Bedeutung des historischen Stadtkerns. Ziel war aber nicht die 1:1-Rekonstruktion der mittelalterlichen Bebauung, genauso wenig eine radikale bauliche Neustrukturierung des Bereichs. Zeitgenössische Architektur sollte Bezug nehmen auf die vorhandene historische Substanz und Strukturen, die den Berliner Stadtkern einst prägten. Ein städtischer Zentrumsbereich mit Wohnbauten sollte entstehen. Geplant war die Errichtung von ca. 780 Wohnungen verschiedener Größen, teilweise behindertengerecht, Gewerberäume, Gaststätten und kulturelle Einrichtungen. Gebäude, Straßen- und Platzräume mit verschiedenen Nutzungen sollten ein Ensemble bilden, sodass der Bezug zur historischen Bebauung und zur Bedeutung des Ortes baulich, räumlich und durch Kunstwerke im öffentlichen Raum erlebbar wird. (14)

Das Aufgreifen historischer Bebauung im Zuge der Neuplanungen für das Nikolaiviertel ist auf eine städtebauliche Studie von 1974 zurückzuführen, in der das Knoblauchhaus saniert und mit einer neuen Nutzung versehen werden sollte. Daraufhin wurde für einen Wiederaufbau der für das 17. und 18. Jahrhundert typischen Bebauungsstruktur plädiert – ein Novum in der Stadtentwicklung der DDR. Der Ansatz fand breite Unterstützung. Im Jahr 1978 wurde ein Wettbewerb zur Neugestaltung mit sowohl bauhistorischem Bezug, wie auch Verknüpfungen zur städtebaulich-architektonischen Gestaltung der damaligen Zeit, ausgeschrieben. (15) Der Auftrag zur Planung wurde nach abgeschlossenem Wettbewerb im Jahre 1980 an das Entwurfsteam unter Leitung von Günther Stahn vergeben. In verschiedenen Bauabschnitten, eingeteilt nach Art der Bebauung, wurde das Viertel und seine Gebäude in den folgenden Jahren errichtet bzw. restauriert. Im Jahr 1987 war die Neubebauung des Nikolaiviertels pünktlich zu den Feierlichkeiten „750-Jahre-Berlin“ abgeschlossen. Es entstanden im Ergebnis ca. 800 Wohnungen, davon 740 im Neubau und 60 innerhalb von Rekonstruktionen historischer Gebäude. In den Erdgeschossen war Platz für 22 Gaststätten und 33 Läden sowie kulturelle Einrichtungen. Das Nikolaiviertel steht beispielhaft für das Leitbild des späten DDR-Städtebaus, in Stadtzentren historische Orte zurückzugewinnen und diese gleichzeitig als attraktive Wohnorte zu nutzen. Die städtebauliche Bedeutung besteht in seiner Geschlossenheit als Ensemble und der damit dargestellten Interpretation der Stadtgeschichte mit außerordentlichen Alleinstellungsmerkmalen. (16)

 

Fußnoten:

(1) VON PLESSEN 1987, S. 57
(2) STAHN 1985, S. 12f
(3) WERKSTADT 2016, S. 5
(4) STAHN 1985, S. 15
(5) VON PLESSEN 1987, S. 58
(6) KOSCHNICK 1987, S. 83
(7) KOSCHNICK 1987, S. 84
(8) SCHWENK 2002, S. 103
(9) KOSCHNICK 1987, S. 84.
(10) STAHN 1985, S. 8
(11) WERKSTADT 2016, S. 7f
(12) WERKSTADT 2016, S. 9
(13) Senatsbeschluss 2019, S. 7
(14) STAHN 1985, S. 8f
(15) WERKSTADT 2016, S. 10
(16) WERKSTADT 2016. S. 13f, S. 24

Quelle historische Karte: Geoportal Berlin/ Berlin um 1690